Die hessischen Kommunen haben 2024 mit über drei Milliarden Euro das größte Defizit der bundesdeutschen Geschichte verbucht. Die Ursachen dieses Trendwechsels liegen in der hohen Inflation und der schwachen Konjunktur. Auch der Ausblick ist negativ. Vor diesem Hintergrund zeigt die Bertelsmann Stiftung Möglichkeiten zur Verbesserung der kommunalen Finanzlage auf.
Die Finanzlage der hessischen Kommunen ist im vergangenen Jahr flächendeckend eingebrochen. Die Steuereinnahmen stagnieren infolge schwacher Konjunktur. Die wichtigsten Ausgabearten wie Personal, Sachaufwand oder Soziales wachsen ungebremst. Infolgedessen verzeichnen die Kommunen in Hessen mit über drei Milliarden Euro das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte. Das sind einige zentrale Ergebnisse des neuen „Kommunalen Finanzreports 2025“ der Bertelsmann Stiftung.
Auch der Ausblick für die kommenden Jahre ist pessimistisch. Die strukturellen Probleme zum Beispiel der Sozialausgaben sind ungelöst, die Inflation hat das Ausgabenniveau dauerhaft erhöht, die wirtschaftliche Entwicklung bleibt schwach. Brigitte Mohn, Vorständin der Bertelsmann Stiftung, sagt: „Das Defizit des Jahres 2024 markiert eine Zeitenwende, welche die finanzielle Handlungsfähigkeit der Kommunen nachhaltig infrage stellt. Kommunen schultern über 50 Prozent der öffentlichen Investitionen und sind wichtig für den sozialen Zusammenhalt. Wir brauchen eine Staatsreform, weil die Kommunen diese wichtigen Aufgaben sonst nicht mehr wahrnehmen können. Auch Bund und Länder müssen sich für eine dauerhafte Verbesserung der kommunalen Situation engagieren. Die Aufgaben für die Kommunen sind aufgrund der bundesgesetzlichen Regelungen zu aufwändig. Es braucht die eindeutige Finanzierungsverantwortung beim Bund.“
Die hessischen Kommunen insgesamt erzielten in den Jahren 2016 bis 2022 Überschüsse. Im Jahr 2023 stand erstmals nach sieben Jahren wieder ein Minus, das sich 2024 verdreifachte. Mit dieser Entwicklung steht Hessen nicht allein. Hohe Defizite trafen nahezu alle Länder. Allerdings fiel es in Hessen je Einwohner am höchsten aus. Die Lage ist flächendeckend angespannt. Über zwei Drittel der Gemeinden schlossen das vergangene Jahr mit einem Minus ab.
Anders als in früheren Jahren liegt die Ursache in erster Linie in der Entwicklung der Ausgaben, die allein 2024 um zehn Prozent zulegten. Die Personalausgaben sind binnen zehn Jahren um über 80 Prozent gestiegen, was eine Folge des Stellenwachstums und hoher Tarifabschlüsse ist. Der laufende Sachaufwand, zum Beispiel für die Bewirtschaftung der Gebäude, die Kosten für Dienstleistende oder Büroausstattung, wird durch die Inflation getroffen und stieg um ein Drittel in zwei Jahren. Auch die Sozialausgaben in Hessen verzeichneten binnen zwei Jahren einen Sprung um fast ein Viertel auf nunmehr 8,2 Milliarden Euro. Die Kommunen tragen ein großes Spektrum sozialer Aufgaben, die überwiegend bundesgesetzlich geregelt sind, aber oft nicht ausreichend vom Bund gegenfinanziert sind. „Daher brauchen die Kommunen eine höhere Kostenbeteiligung des Bundes“, sagt Kirsten Witte, Kommunalexpertin der Bertelsmann Stiftung.
Die Städte, Kreise und Gemeinden sind verantwortlich für wichtige Infrastrukturen, die sowohl die Lebensqualität für Bürger als auch die Standortqualität für Unternehmen definieren. Der Aus- und Umbau dieser Infrastrukturen ist essenziell für die Transformation. Zwar verzeichneten die Investitionen 2024 in Hessen einen Rekord von 4,1 Milliarden Euro. Allerdings werden diese Ausgaben durch besonders hohe Inflationsraten der Baubranche überlagert und der Investitionsrückstand wächst. Im regionalen Vergleich bewegen sich die hessischen Kommunen seit Langem nur im Mittelfeld. Die höchsten Investitionen tätigen mit Abstand die Kommunen Bayerns; je Einwohner über die Hälfte mehr. „Die Mittel für die Transformation sind kaum vorhanden“, stellt Kirsten Witte fest.
Die lange Zeit hohe Wachstumsdynamik der kommunalen Steuern (von 2014 zu 2024 sind die kommunalen Steuereinnahmen bundesweit um 60 Prozent gestiegen) kam 2024 vor dem Hintergrund der schwachen wirtschaftlichen Lage zum Erliegen. Preisbereinigt bedeutet die nominale Stagnation in Hessen bereits einen Verlust an kommunaler Kaufkraft. Im regionalen Vergleich der Steuereinnahmen zeigen sich die langfristig bekannten Muster. Die hessischen Gemeinden stehen seit vielen Jahren an der Spitze, vor Bayern und Baden-Württemberg. Je Einwohner erreicht Hessen mehr als das Doppelte des thüringischen Wertes. Allerdings ist die Steuerkraft regional sehr unterschiedlich. Frankfurt am Main erzielte als stärkste Großstadt Deutschlands 2024 allein rund 40 Prozent des gesamten hessischen Aufkommens. „Diese Abhängigkeit von einer Stadt und Branche ist ein Risiko für die langfristigen Steuereinnahmen“, sagt René Geißler, Mitautor der Studie und Professor für öffentliche Verwaltung an der technischen Hochschule Wildau.
Die Kassenkredite, der „kommunale Dispo-Kredit“, sind primär die Folge von Haushaltsdefiziten und gelten seit jeher als zentraler Krisenindikator. Die Problematik konzentriert sich aktuell immer stärker auf Nordrhein-Westfalen. Die hessischen Kommunen erreichten einst sehr hohe Werte von über sechs Milliarden Euro. Ab 2018 wurden diese durch das Land gegen harte Auflagen umgeschuldet. „Die gute Lage in Hessen ist nicht selbstverständlich. Die hohen Defizite bedrohen die Erfolge der Vergangenheit“, sagt René Geißler. Handlungsansätze zur Finanzierung der Transformation erforderlich „Nicht nur hohe Defizite und ein bundesweiter Investitionsstau von 215 Milliarden Euro belasten die kommunalen Haushalte. Zusätzlich sind umfangreiche Investitionen in die Klimaanpassung der kommunalen Infrastruktur notwendig, um einen substanziellen Beitrag zur Minderung der Treibhausgase zu leisten“, betont Kirsten Witte. „Angesichts der aktuellen Finanzlage werden die Kommunen die dafür notwendigen Mittel nicht allein aufbringen können. Auch das Sondervermögen Infrastruktur und Klimaneutralität wird diese Bedarfe nur teilweise decken. Deswegen sind weitere langfristige Ansätze zur Finanzierung notwendig“, fordert Witte. Der neue Kommunale Finanzreport zeigt dazu die Vor- und Nachteile verschiedener Ansätze auf, wie beispielsweise ein gemeinsames Bund-Länder-Sondervermögen oder ein privat-öffentlicher Zukunfts- und Transformationsfonds. Darüber hinaus bleibt es unerlässlich, dass die dauerhafte Unterfinanzierung der Kommunen durch langfristige Strukturreformen behoben wird.